Von weitem ruft die Hundehalterin mir entgegen: „Kann er nicht von der Leine? Ich bin auf einen Nebenweg ausgewichen und schüttele als Antwort nur mit dem Kopf. Ihr Hund war ebenfalls angeleint. Ich wundere mich nur: „Was sie mir wohl sagen wollte?“ Mittlerweile vergesse ich solche Begegnungen schnell wieder. Ich freue mich, dass mein Hund neben mir ruhig ausgehalten hat und wir die Situation gut gemeistert haben.
Der arme Hund darf nicht frei laufen
Es gab aber auch Zeiten, da haben mich Aussagen von anderen Hundehaltern noch tagelang beschäftigt. Dabei war es gar nicht das, was sie gesagt haben, sondern was ich dachte, was sie damit gemeint haben könnten. Früher hätte ich bei einer Frage wie der im Beispiel gehört: „Ihr armer Hund darf nicht freilaufen.“ Diese Interpretation nahm ich mir dann sehr zu Herzen. Ich machte mir Vorwürfe, suchte nach Rechtfertigungen und zerbrach mir den Kopf, wie ich es hätte besser machen können. Denn ich wollte eine gute Hundehalterin sein und mein Hund sollte es bei mir gut haben. Wenn ich mit solchen Aussagen konfrontiert war, war ich überzeugt, ich mache etwas falsch.
Unsicherheit und Ärger entstehen aufgrund unserer Gedanken
An guten Tagen ärgerte ich mich nur über die andere Person, die es sich herausnahm mich zu kritisieren. Aber auch der Ärger war unangenehm und machte die Situation nicht besser. Noch dazu verhielt sich mein Hund in diesen Momenten häufig gar nicht, wie ich es gebraucht hätte. Gerade dann, wenn ich innerlich von Gefühlen, wie Ärger und Unsicherheit überschwemmt wurde, rastete er förmlich aus, bellte, sprang in die Leine und war kaum zu beruhigen. Mein Ärger und das darunterliegende Gefühl der Unsicherheit wurden dadurch immer noch verstärkt, weil er mir keine Unterstützung gab. All diese Gedanken machten es mir nicht leicht, offen und entspannt in neue Hundebegegnungen zu gehen.
Mit Hundetraining zu mehr Selbstsicherheit?
Auch bei Hundebegegnungen gilt: Wenn wir unsicher sind, suchen wir nach Sicherheit. Wir suchen sie bei anderen Menschen oder wir suchen sie bei unserem Hund. Kein Wunder ist einer der ersten Lösungsansätze, der uns in den Sinn kommt: „Frag einen Hundetrainer!“ oder „Trainiere deinen Hund!“ Der Grundgehorsam deines Hundes ist sicher eine gute Basis, um dich mit ihm zu verständigen. Doch im Hundetraining lernst du nicht, mit unvorhergesehenen Situationen umzugehen, die sich aus dem Aufeinandertreffen von zwei Hundehaltern ergeben können. Du lernst auch nicht, mit dem Stress umzugehen, den die Begegnung bei dir auslöst. Was kannst du also tun, wenn du mit einem gut trainierten Hund trotzdem Mühe hast, in Hundebegegnungen ruhig und selbstsicher zu bleiben?
Coachingimpuls zum Thema Hundebegegnung
Für diesen Fall gibt es keine allgemeine Anleitung und kein Rezept. Ich kann dir nicht sagen, was gut für dich wäre. In meinem Coaching helfe ich dir, genau das für dich selbst herauszufinden. Das mache ich, indem ich dir genau zuhören, dir spiegele, was ich höre und fühle und dir Fragen stelle. Dabei erfährst du viel über dich selbst und erkennst häufig selbst schon, was du brauchst. Manchmal gebe ich dir auch einen Impuls. Ein Impuls ist ein Gedanke, der etwas erklärt. Hier habe ich dir ein paar Impulse und Fragen zum Thema Hundebegegnung und was wir dabei über uns selbst lernen können zusammengestellt.
Du bist nur für dich und deinen Hund verantwortlich.
In Hundebegegnungen versuchen wir die Situation für uns, unseren Hund und die andere Person samt Hund zu klären. Diese Idee ist gut gemeint. Vielleicht denken wir, wenn wir es den Anderen recht machen, nehmen sie Rücksicht. Vielleicht haben wir gelernt, dass man Hundebegegnungen so oder so macht. Indem wir aber versuchen vermeintlichen Erwartungen zu entsprechen oder die Regeln, die wir in der Hundeschule gelernt haben, durchzusetzen, stellen wir einen unrealistischen Anspruch an uns. Wir können nicht die Verantwortung für das Verhalten der Anderen übernehmen. Wir tragen nur die Verantwortung für uns und unseren Hund.
Niemand ist dafür da, die Bedürfnisse anderer zu erfüllen. Wir können nicht erwarten, dass andere Menschen immer sehen, was wir brauchen. Übrigens müssen wir die Bedürfnisse der anderen nicht kennen, um gut für uns zu sorgen.
Deine Gefühle sind wertvoll – auch der Ärger und inbesondere auch die Unsicherheit. Denn Gefühle machen uns auf (unerfüllte) Bedürfnisse aufmerksam. Wenn deine Gefühle sprechen könnten, was würden sie dir sagen? Was hat dir in der Situation gefehlt? Was kannst du in Hundebegegnungen konkret tun, um dir selbst das zu geben, was du brauchst?
Im Coaching erzähle ich dir nicht, wie ich Hundebegegnungen für mich löse. Denn es passiert nur allzu schnell, dass du dann denkst, du müsstest es genauso machen. Das ist nicht hilfreich. Schließlich geht es im Coaching um dich und nicht um mich. Aber da wir gerade nicht im Coaching sind, schreibe ich kurz, wie es bei der Hundebegegnung im Beispiel abgelaufen sein könnte.
Hundebegegnung nach Bauchgefühl
Als ich die Hundehalterin mit ihrem Hund schon von weitem kommen sehe, beobachte ich mich und meinen Hund genau. Ich achte auf mein Gefühl. Ich nehme wahr, dass ich etwas angespannt bin. Der andere Hund ist sehr groß. Ich kann nicht erkennen, ob er an der Leine ist. Ich kenne sie nicht. Die Halterin organisiert sich umständlich, nimmt den Hund auf eine Seite. Ich fühle mich unsicher. Also schaue ich, ob ich ein bisschen ausweichen kann. Ich finde eine Möglichkeit, auf einen Weg abzubiegen und die beiden in der Entfernung, die sich für mich sicher anfühlt, passieren zu lassen. Ich merke, wie sich mein Hund entspannt und kann der Begegnung nun gelassen entgegensehen. Dieses Management betreibe ich nicht, weil ich der anderen Person Platz machen möchte oder weil ich denke, man muss es so machen, sondern nur deshalb, weil ich es genauso brauche und als angenehm empfinde. Als sie vorbei geht, sehe ich, dass sie den Hund an der Leine führt. Ich denke: „Die macht das gut. Vielleicht geh ich nächstes Mal an ihr vorbei.“ Da ruft sie mir zu: „Kann er nicht von der Leine?“ Ich wundere mich kurz, schüttle nur mit dem Kopf und schon ist sie auch vorbei. Mein Gefühl hat also doch gepasst. Da war eine Unklarheit. Wir gehen weiter und hätte ich nicht vorgehabt, einen neuen Blogartikel zu schreiben, hätte ich über die Begegnung auch nicht länger nachgedacht.
Was du in Hundebegegnungen über dich und die anderen lernen kannst
Bei der Auseinandersetzung mit der Situation für diesen Text kommt mir gerade eine Idee, was die Hundehalterin mit ihrer Frage: „Kann er nicht von der Leine?“ gemeint haben könnte. Es könnte gut möglich sein, dass sie sich bei mir rückversichern wollte, ob sie alles richtig gemacht hat. Sie hatte sich ja bemüht, den Hund bei sich zu führen und ihn frühzeitig zu sich genommen. Trotzdem bin ich ihr ausgewichen. Vielleicht war das die Unklarheit, die sie hatte. Ist das nicht ein tröstlicher Gedanke? Auch wir lösen mit unserem Verhalten bei anderen Gefühle aus. Das passiert ganz automatisch. Haben mich früher doch genau solche Aussagen meine eigene Unsicherheit schmerzlich spüren lassen, so kann ich heute die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die andere Person auch eine Unsicherheit aufgrund meines Verhalterns hatte. Ihre Frage war somit auch mehr der Ausdruck für ihr Bedürfnis nach Klarheit oder Bestätigung. Sollte da noch ein Fünkchen Ärger gewesen sein, so ist dieser nun am Ende auch noch verflogen.
Genau das ist der Effekt, den ich bei meiner Arbeit häufig erlebe. In Hundebegegnungen können wir lernen, Mitgefühl für uns selbst zu entwickeln, unsere Gefühle ernst zu nehmen und nach unseren Bedürfnissen handeln. Wenn uns das gelingt, öffnet sich unser Herz auch für die Anderen. Das passiert ganz von allein. Mich berührt es besonders, wie mir mein Hund genau das wiederspiegelt. Wenn ich bei mir bin und mir Sicherheit gebe, bleibt er mittlerweile auch ruhig und behält seine Meinung für sich. Darin ist er mir eine große Unterstützung.
Nachdem ich dir von meinen Gedanken über Hundebegegnungen erzählt habe, bin jetzt auch neugierig, was du schon erlebt hast. Was hast du in Hundebegegnungen über dich gelernt?
Liebe Anna,
das ist ein sehr hilfreicher Artikel – auch für Nichthundebesitzer wie mich. Ich liebe Hunde, habe aber selbst noch nie das Glück gehabt, einen zur Familie zählen zu dürfen. Ich habe aber auch einen großen Respekt vor (fremden) Hunden.
Am vergangenen Wochenende ging ich allein spazieren und habe eine neue Strecke probiert. Diese war offensichtlich auch bei Hundebesitzern sehr beliebt. Ich stand am Wegesrand und habe gezeichnet und so kamen aus beiden Richtungen viele Hundebesitzer an mir vorbei. Da habe ich gut beobachten können, was Du hier beschreibst. Die Unsicherheit auf beiden Seiten der sich begegnenden Besitzer mit ihren Tieren, die Erleichterung, wenn die Begegnung ohne großes Bellen und in die Leine springen abging. Interessanterweise fand ich – bis auf einen – die Hunde aber alle deutlich entspannter als ihre Besitzer … 🙂
Zauberhafte Grüße
Birgit
Liebe Birgit
Ich danke dir für deinen zauberhaften Kommentar aus der Sicht einer Nichthundehalterin 😉 Beim Zeichnen lernt man auch, seine Umgebung genau zu beobachten. Ich teile deine Einschätzung: Die Unsicherheit der Halter muss sich nicht zwangsläufig beim Hund wiederspiegeln. Viele Hunde meistern die Hundebegegnung souverän. Wann der Hund den Halter spiegelt, darauf möchte ich im nächsten Artikel noch genauer eingehen.
Herzliche Grüße
Anna
Herzlichen Dank, Anna für diesen Beitrag. Deine Worte bestärken mich einmal mehr, ganz deutlich meiner inneren Stimme zu folgen. Ich mache die spannende Erfahrung, dass mir andere Hundebesitzerinnen immer wieder Tipps geben was ich anders tun sollte mit meinem Hund. Ja und solche Situationen können mich dann auch noch tagelang beschäftigen- Energieraub! Es wird ja wohl kein Zufall sein dass mir das passiert, so übe ich mich darin mich selbst zu achten und beschäftige mich weiterhin mit dem Thema „Grenzen setzten“. Ich empfinde es oftmals als Grenzüberschreitung und manchmal passiert so etwas sehr subtil. Dein Text macht mir Mut einfach munter in mir und um mich weiter zu forschen. Herzliche Grüsse Angela
Liebe Angela
Vielen Dank dir für deinen Kommentar. Diese selbsternannten Experten begegnen einem immer wieder im Leben – nicht nur mit Hund. Gut, wenn du sie erkennst und auf deine innere Stimme hörst. Ich bin gespannt, was du bei deiner inneren Forschungsreise noch über dich herausfindest. Lass mal wieder von dir hören!
Herzlichst Anna
Vielen Dank für diesen Artikel. Wir haben einen Welpen bei uns aufgenommen und dieser fordert uns ganz schön heraus. Genau dieses Beispiel mit dem „Ausweichen“ habe ich erst kürzlich nach meiner Intuition gemacht und mit Erfolg erlebt. Wichtig ist auf sich zu schauen und auf seinen eigenen Hund. Die anderen dürfen auf sich schauen und auf deren Hund. Seit ich dies tue macht mein Welpe riesen Schritte und ich freue mich sehr auf weitere Begegnungen. Vielen Dank
Das ist ganz, ganz toll! Wie du schon schreibst, es gibt kein Rezept. Man muss immer wieder schauen, was passt und dabei hilft einem das Bauchgefühl. Danke für deinen Kommentar!
Liebe Anna, ein sehr schöner Artikel! Mein HerzAntonHund läuft auch (fast) nicht mehr ohne Leine…. Mit 18,5 Jahren hört er schlecht – aber schlecht gucken kann er gut…. so, dass er mittlerweile in unbekannter Gegend Kantsteine hinab- und heraufstolpert, wenn ich ihm nicht sage: „Vorsicht“…. Fahrradfahrer, viele Fußgänger um ihn herum usw. irritieren ihn, Hunde ebenfalls und da er sie ja auch nicht mehr „lesen“ kann, wächst er über sich hinaus zum junggebliebenen Halbstarken und vergisst, dass er sich manchmal kaum auf den Beinen halten kann und selbst beim Beinheben das Gleichgewicht ab und zu verliert…. Bestimmt 12 Jahre (als er aus dem Tierheim zu mir kam, war er 4) haben wir zusammen gearbeitet: Hundeschule, anderes Training, gemeinsam joggen uvm, er war (meistens 😉 ) gehorsam und hat freiwillig gemacht, was meistens ich wollte…. nun hat er dafür jetzt die Freiheit, zu trödeln, ausgiebig zu schnüffeln, auch mal die Richtung zu wechseln oder zu bestimmen und ich richte mich nach ihm und dies mache ich mit voller Liebe und ganzem Herzen. Wir sind sehr verbunden und ja, die Leine und sein Verhalten daran zeigt es mir. Ich überlege sogar, mir ein Blindenhalstuch für ihn zu besorgen auch wenn er noch schemehaft sieht, weil viele Menschen (mit und ohne Hund, mit und ohne Rad, mit und ohne Kind) einfach unglaublich rücksichtslos sind….. Wobei ich gestehen muss, ein besonderes Greul sind mir die tut-nichts-Hundehalter und noch schlimmer die, die denken, ihr Hund tut nichts und die noch nicht mal in Nähe ihres Hundes sichtbar sind oder deren Hunde nicht auf Rückruf reagieren. Oder Kinder, die zu 4. nebeneinander auf ihren schepperndern Rollern fahren müssen und wir springen in die Büsche. Oder ein erwachsener Radfahrer, der Anton einfach am Kopf(!) anfuhr, als er die Seite wechselte (Sonntag morgens um 7:30 Uhr, ich ließ ihn gewähren, es war vermeintlich niemand da und der Radfahrer kam von hinten, ohne mit der Klingel zu warnen)…. Was tat der Radfahrer? Er sagte: „schei….“ und fuhr einfach weiter…. ich war fassungslos…..
Liebe Gesa,
vielen Dank für deinen Kommentar. Es ist so schön zu lesen, wie du mit deinem Herzenshund unterwegs bist oder er mit dir bzw. ihr zusammen. Mit Hund erlebt man aber auch schreckliche Sachen, wie das mit dem rücksichtslosen Radfahrer. Diese Menschen begegnen einem auch anderswo, bloß sind wir da nicht so nah dran. Als Hundehalter sind wir einfach tagtäglich draußen und gehen unseren Weg. Daher kriegen wir viel mit. Mach das doch mit dem Tuch, wenn es dich unterstützt. Aber erwarte nicht, dass es die anderen immer wahrnehmen. Die meisten Menschen wissen es einfach nicht besser und sind selbst in dem Moment im Stress. Es wird daher immer wieder zu blöden Situationen kommen, nur kannst du dich dann auf das Zeichen beziehen und musst nicht lange überlegen, ob dein Bedürfnis bzw. das deines Hundes berechtigt ist.
Pass gut auf dich und deinen Anton-Schatz auf!
Herzlichst Anna
Liebe Anna,
Ich bin z.Zt. bei deinem Buch, Dein Hund, Deine Chance. Und genauso versuche ich auch in letzter Zeit, Hundebegegnungen zu sehen. Mein Boxerrüde, 5 Jahre jung, 38 kg, Eine Chance, Begegnungen gelassen, oder angespannt zu meistern. Je gelassener und entschlossener ich bin, desto klarer meine Entscheidung, geh ich etwas auf Abstand, oder lasse ich Kontakt zu. Der Rabauke fühlt das. Immer mehr. Allerdings auch, wenn ich angespannt oder unentschlossen bin. Dann ist „Geprolle“ vorprogrammiert. Mein Fazit, uns beiden muss es gut gehen, die Antennen müssen funktionieren, Und, wir können durchaus auch einfach mal „vorbeigehen“!!!!ich
Danke für dein Buch. ?
Liebe Susanne
Ich freue mich riesig, dass du mein Buch liest! Danke für deinen Kommentar. Es stimmt: Man muss nicht immer vorbei. Zu wissen, man kann es unter bestimmten Bedingungen und man hat noch so viele andere Möglichkeiten, den Kontakt zu gestalten, darin besteht die innere Freiheit.
Alles Gute für dich und deinen tollen Begleiter <3
Anna